Das so genannte „Modell Güssing“ ist die Strategie der dezentralen, lokalen Energieerzeugung mit allen vorhandenen erneuerbaren Ressourcen einer Region. Dieses Modell entstand aus der Not heraus und war der Motor dessen, was in Güssing seit Beginn der 90er Jahre unter maßgeblicher Beteiligung des EEE passiert ist.

Da jede Region über bestimmte Ressourcen in unterschiedlichem Ausmaß verfügt, kann dieses Modell Vorbild für viele Gemeinden sein.

Güssing im ökoEnergieland ist mit ca. 4.000 Einwohnern Bezirksvorort einer tendenziell infrastrukturschwachen Region mit ca. 27.000 Einwohnern. Laut Statistik zählte diese Region im Jahr 1988 zu den ärmsten Regionen Österreichs. Durch die geografisch ungünstige Lage im östlichen Grenzgebiet Österreichs gab es keine größeren Gewerbe- oder Industrieansiedlungen und eine sehr schlechte Verkehrsinfrastruktur im gesamten Bezirk (kein Bahn- bzw. Autobahnanschluss).

Die Folgen waren Arbeitsplatzmangel (70 % Wochenpendler) und eine sehr hohe Abwan­derungsrate. Zusätzlich war eine sehr starke Kapitalabwanderung aus der Region durch Energiezukäufe zu beobachten (Öl, Strom, Kraftstoff), während die vorhandenen Ressourcen (z. B. 45 % Waldanteil) kaum genutzt wurden.

Der Fall des Eisernen Vorhangs im Jahr 1989 und damit eine Veränderung der Ausgangsituation (vom Rand Europas in den Mittelpunkt Europas) bzw. der geplante Beitritt Österreich zur Europäischen Union und damit die Aussicht auf wichtige Investitionsförderungen im Rahmen des EU-Ziel 1- Fördertopfes, auf den das Burgenland aufgrund seines niedrigen Pro-Kopf-Einkommens Anspruch hatte, ermöglichten die Entwicklung der Region.

Grundidee des Modells war: heimische Ressourcen zur Energiegewinnung heranziehen anstatt fossile Energieträger zuzukaufen. Damit erreicht man eine Steigerung der regionalen Wertschöpfung (Geld fließt nicht aus der Region ab, sondern bleibt durch die Nutzung und Weiterverarbeitung heimischer Rohstoffe in der Region, Schaffung von Arbeitsplätzen) bei gleichzeitiger Reduzierung der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern. Außerdem wird so eine massive Reduzierung der CO2-Emissionen erreicht. Der Grundansatz war, die Energieversorgung Schritt für Schritt selber in die Hand zu nehmen und durch die Nutzung erneuerbarer Energie die Wirtschaft der Region nachhaltig anzukurbeln.

Beginnend mit der Nutzung der vorhandenen Rohstoffe, der Entwicklung und Errichtung sowie dem Betrieb von Energieerzeugungsanlagen, bis hin zur Lieferung dieser Energie an die Bürger wurde begleitend dazu ein Infrastrukturnetzwerk für die Bevölkerung in vielfältiger Weise aufgebaut. Mit der Schaffung von Arbeitsplätzen und den Einnahmen aus der Energieerzeugung war es wichtig Themen wie: Ausbildung, Freizeit, Gesundheit, Sport, Tourismus, usw. in der Region zu forcieren, um den Menschen - speziell den jungen Menschen - einen Anreiz zu bieten, in der Region zu bleiben und diese lebenswert zu gestalten.

Die Energiewende in Güssing war ein Prozess von vielen, zunächst kleinen Schritten. Es waren mehrere Teilwenden, die mit der Zeit gingen, mit der Zeit auch verändert und angepasst werden mussten und auch abhängig von nationalen und internationalen Rahmenbedingungen waren.

 

DIE ENERGIEWENDE

Aufgrund der vorhandenen Waldgebiete war der logische erste Schritt, die Beheizung von Gebäuden auf Biomasse umzustellen. Aus Komfortgründen war das Ölzeitalter angebrochen, und der Wald als Energiequelle wurde kaum mehr genutzt. Um den Komfort, bei gleichbleibenden Kosten, beibehalten zu können, war es notwendig, die schmutzige Holzheizung in Heizzentralen auszulagern und den Menschen warmes Wasser über Nahwärmenetze ganzjährig zu liefern. Flächendeckend wurden diese Systeme in den Ortskernen sowie auch in der Kleinstadt Güssing installiert, teilweise auch in Verbindung mit Großsolaranlagen, die den Sommerbetrieb übernahmen. Bis heute laufen diese Anlagen, die auch zum Großteil über Genossenschaften, heute würde man sagen „Bürgerbeteiligungsmodelle“, von der Bevölkerung betrieben werden.

Nicht nur Waldflächen und viel Sonne, auch große landwirtschaftliche Ressourcen sind vorhanden. Deshalb war auch ein logischer zweiter Schritt, dieses Angebot für die Energieerzeugung zu nutzen. Eine Anlage zur Umwandlung von Raps in Biodiesel wurde gebaut. Mehr als 15 Jahre belieferte eine bäuerliche Agrargemeinschaft die Bevölkerung mit erneuerbarem Treibstoff. Verschiedene Rahmenbedingungen brachten dann die Verantwortlichen zum Umdenken und in Richtung Einsatz neuer Technologien und zum Thema „Treibstoffe der zweiten Generation“.

Nachdem erfolgreich Wärme und Treibstoff in der Region produziert wurden, war es naheliegend, auch die dritte Energieform – den elektrischen Strom – selber zu produzieren. Um diesen auch effizient aus den vorhandenen Rohstoffen zu erzeugen, galt es die Forschung nach Güssing zu holen. Mit den Wissenschaftlern der österreichischen Universitäten, allen voran die Technische Universität Wien mit Prof. Hermann Hofbauer an der Spitze, begann eine neue Ära und dies nicht nur für Güssing. Durch die Umsetzung der von den Forschern entwickelten Technologien in Demonstrations- bzw. Pilotanlagen wurde die Region Güssing endgültig zu einer Modellregion. Eine zentrale Rolle spielt hier die Umwandlung von Biomasse in ein Produktgas mit Hilfe der „Wirbelschicht – Dampfvergasung“. Derzeit wird dieses Produktgas in Wärme und Strom umgewandelt und versorgt so die Stadt Güssing mit umweltfreundlicher, erneuerbarer Energie. Diese in Güssing erstmals demonstrierte Technologie ist heute weltweit gefragt.

Aber auch bei der Stromerzeugung wollte man sich nicht nur auf holzartige Biomasse konzentrieren. Ein interessantes Thema der Forscher war die Nutzung von landwirtschaftlichen Reststoffen zur Stromgewinnung. Auch hier wurde ein Demonstrationsprojekt zuerst in Strem, dann auch in Güssing, in Form von Biogasanlagen umgesetzt. In diesen Anlagen werden viele Produkte, die sonst keine Verwendung mehr haben, wie z.B. Gras, Hühnermist etc. verarbeitet. Das Resultat sind die Energieformen Wärme und Strom. Derzeit sind bereits mehrere Biogasanlagen in der Region in Betrieb, und weitere werden folgen.